aus „100 Jahre Moch Figuren“, Festschrift zum 100-jährigen Bestehen 2007

Die Schaufensterpuppe und ihr Modell

von Katharina Poblotzki

Wer konnte ahnen, dass meine Karriere im Hause Moch schlagartig beschleunigt werden sollte, als ich 2001 zufällig die Entwicklungen neuer Figuren im hauseigenen Atelier inspizierte: Auf der Stelle gecastet wurde ich von der Messeaushilfe zum neuen Mochfiguren Prototypen befördert. Der eigens aus NYC eingeflogene Bildhauer Michael Katok hatte beschlossen, dass hierfür echtes Fleisch und Blut in 3D hermüsse, und für alles Weitere, was er dort aus einem Plastillin-Klotz herausformen würde, schien ich ihm als Modell mit dem richtigen BMI ausgestattet. Vormals zuständig für Schnittchen und Standaufbau wurde ich zu Modell 436 und meine hundertfach geklonten Extremitäten viele Monate später in alle Herren Länder geschifft.

Zuerst verbrachte ich aber meine Osterferien mit einem Gymnastikanzug bekleidet vor einem Mini-Heizlüfter im Atelier Moch und gab alles an zeitgemäßen Posen her, die ich glaubte aus den Bars und Diskotheken der Großstadt zu kennen. Mein neuer Job als lässige Rumsteherin war viel härter, als ich geahnt hatte. Nach achtstündigem Verharren lag ich abends eher ermattet auf der Couch, die kostbaren Viere weit von mir gestreckt, statt locker an der Bar zu stehen, wie ich es für internationale Schaufenster vormachen sollte. Katok lobte dafür täglich mir völlig neue Qualitäten meiner Erscheinung wie meine hübschen (in meinen Augen hübsch vernarbten) Knie und sehnigen Unterarme. Am Hals hörte der Spaß dann sowieso auf, denn die Köpfe wurden mit meinen leblosen Kolleginnen Kate, Alina oder Valeska besetzt. Hier wollte man also wirklich nur meinen Körper, selbiger war dann etwas zu groß und wurde, hüstel, auch etwas dünner gemacht. Herr Katok berief sich hierbei ganz auf die Moch’schen Qualitätsstandards, und ich, ja ich hielt einfach nur brav still und erfreute mit meinem leichtbekleideten Anblick meine werten Kollegen aus Werkstatt und Transport.

Während der graue Klumpen auf dem Drahtgestell langsam meine Form annahm, verlief mein neuer Job als Maßstab für Abertausende von Kundinnen eher unspektakulär, der Meister konzentrierte sich auf sein Schaffen und ich dachte über die Stunden vorwiegend an die Kekse, die in unregelmäßigen Abständen hereingereicht wurden.

2x Katharina: als Schaufensterpuppe und im Original

Nach mehreren Sitzungen war das Werk vollbracht, der Figurenschöpfer aus Amerika reiste wieder ab, doch meine Arbeit war noch lange nicht zu Ende, schließlich sollte auch der Rest der Nation von unserem Tagewerk erfahren. Dafür sollte unter anderem ich, das Modell für stumme Showroom Dummies, den Menschen an den Empfangsgeräten aus meinem Leben als Mannequin berichten.

Die erste Dame vom Privatfernsehen hielt tapfer fest am investigativen Journalismus und kam nach einlullendem Geplänkel mit einem „Findest Du Dich schön?“ vor laufenden Kameras aus dem Hinterhalt. Mir bleibt der Mund offen stehen, und bevor ich weiter in die Tiefen meines Selbstbildes vordringen konnte, bekam der Beitrag die nötige Portion Info-Tainment verpasst: Beim Nachstellen des Abformens war mein Kopf neben den zauberhaften Knien auf einmal doch mit von der Partie. Einer Rohfassung des Modellkopfes „Kate“ wurde zuerst ein ordentlicher Klumpen Plastillin ins Gesicht gepackt, um notwenige Nasengröße und deren Unebenheit zu erreichen. Der Zuschauer des Magazin-Beitrages soll schließlich später glauben, es handle sich tatsächlich um mein nicht ganz so perfektes Antlitz.

Das ZDF stellt Kaddis Geburt als Schaufensterpuppe nochmals nach

Figurenformer Adrian packt Portion um Portion des Tonmaterials auf das Gerippe aus Rohr und Draht, beweist die größte Telegenität aller Beteiligten und neben Abstraktionsvermögen auch die nötige Gelassenheit im Umgang mit den anstrengenden Fernsehmenschen, die jetzt sofort bitte dem Prozess vom Tonklumpen zur fertigen Puppe beiwohnen möchten. Helle Freude fanden diese an Make-Up-Artistin Johanna, den hier geht alles zuschauergerecht schnell von der Hand, mein Double bekommt mit der Airbrush-Lackierpistole Leben eingehaucht.

Immer noch leichtbekleidet mit hohen Hacken im Werkstattstaub sehe ich mittlerweile etwas grau aus im Vergleich, und so verpasst Johanna mir hinter der Kamera gleich auch noch den nötigen Anstrich, damit ich neben meinem Puppen-Zwilling gut wegkomme, während ich die Fragen über meine Beziehung zu ihr beantworte. Wir verstehen uns übrigens ganz prima.

Einige Monate später steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus Köln bei Moch Figuren vor der Tür. Das TV-Team lässt mich ins Schaufenster steigen, am eigenen Leib soll ich erfahren, wie es meinen erstarrten Doppelgängerinnen tagtäglich ergeht. An mir wird herumgezurrt und rumgefummelt, als würde man gar nicht bemerken, dass ich die Version mit 37°C Körpertemperatur bin, eine Perücke gibt mir die nötige Restähnlichkeit mit meiner Plastik- Schwester und wenig später finden wir uns in einer Ladendekoration auf Kölns frequentiertester Einkaufsstraße wieder. „Mochmodel Katharina betrachtet die nach ihr geformte Figur, Model und Modell sind identisch!“ wird es später im Fernsehen heißen, und alle sind froh, dass ich mit meiner schulterlangen Frisur mit Pony die nötige Ähnlichkeit in Bezug auf ein gängiges Perückenmodell bei Moch aufweise.

Ich bin froh, dass ich nicht an derselben Geschmacksverirrung in Bezug auf Mode wie die verantwortliche Redakteurin leide, aber was tut man nicht alles für hochwertige TV-Formate: „Die Schaufensterpuppe steht für Ideal und Illusion. Denn wer ist schon wirklich so perfekt?!“. Am Ende des Drehtages bekam ich auf Kosten der Medienanstalt eine große Pommes spendiert, garniert mit dem Lob, für ein Model könnte ich mich im Interview erstaunlich gewählt ausdrücken.

So kann ich mich auch in Zukunft damit brüsten, eine ganz besonders schlagfertige Vertreterin der Schaufensterpuppen- Zunft zu sein, in der Hoffnung, dass meine schönen Knie noch lange Kaufimpulse geben, und der beruhigenden Gewissheit, im Dienste von Moch Figuren in reizenden Posen die Schaufenster der Welt zu schmücken.

Katharina Poblotzki
lebt und arbeitet als Fotografin in Brooklyn, New York. Nach ihrem Abschluss an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin zog es die gebürtige Kölnerin in die USA, wo sie unter anderem Portraits für das ZeitMagazin, The New York Times, Spiegel, L’Officiel, Adidas oder Google fotografiert.

www.katharinapoblotzki.com